Burnout – Wenn ein „Abschalten“ nicht mehr möglich ist

Burnout – Wenn ein „Abschalten“ nicht mehr möglich ist

Im Gespräch mit Burnout-Experte Prof. Dr. Dr. Martin Keck

Prof. Dr. Dr. Martin E. Keck ist Chefarzt der Psychotherapeutischen Neurologie der Kliniken Schmieder, Spezialist für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und Mitgründer der Akademie und Gesundheitszentrum Frauenchiemsee. In unserem Interview erklärt er, woran man einen akuten Burnout erkennt, wer besonders gefährdet ist und wie man vorbeugen kann.

Hier finden Sie passende Seminare zur Stressbewältigung und Burnout-Prävention.

Sollten Sie bereits unter einem Burnout, einer aktuen Stresssymptomatik oder stressbedingten Depression leiden, informieren Sie sich hier zu unserer einwöchigen Chiemsee-Therapiewoche.

Akademie: Herr Prof. Keck, was genau ist Burnout eigentlich?

Prof. Keck: Burnout ist – und das ist das kritische daran – ein Modebegriff geworden, der sehr unscharf verwendet wird. Wir verstehen aus wissenschaftlicher Sicht unter Burnout eigentlich einen Risikozustand, einen Erschöpfungszustand, in den man durch chronischen Stress hineingerät. Das ist oft beruflicher Stress, das kann aber natürlich auch privater Stress sein. Dieser Risikozustand kann – wenn er nicht rechtzeitig erkannt und man entsprechend präventiv wird – zu verschiedenen Erkrankungen führen. Eine häufige Folgeerkrankung ist dann zum Beispiel die Depression, die man früher in diesen Zusammenhang auch Erschöpfungsdepression genannt hat.

Akademie: Gibt es denn Frühwarnzeichen, wenn eine erhöhte Burnout-Gefahr besteht?

Prof. Keck: Das Thema Frühwarnzeichen ist in der Tat sehr wichtig, damit sich ein Erschöpfungszustand eben nicht zu einer Krankheit entwickelt. Häufige Frühwarnzeichen sind Schlafstörungen (Einschlaf- und Durchschlafstörungen) oder morgendliches Früherwachen mit Grübeln und Gedankenkreisen. Noch frühere Zeichen sind ein vollständiges Engagement ausschließlich für die Arbeit und eine Aufgabe der Trennung zwischen Arbeit, Privat und Freizeit. Auch Gleichgültigkeit kann ein Frühwarnzeichen sein: wenn man das Engagement nicht mehr hat – auch das innere Engagement und die innere Motivation für seine Tätigkeit nicht mehr hat.

Akademie: Wie kann ich solche Warnsignale denn überhaupt wahrnehmen?

Prof. Keck: Das Wichtigste ist zunächst einmal, diesen Zustand wahrzunehmen und dann kurz innezuhalten und zu überlegen, was denn gerade vielleicht falsch läuft. Warum fühle ich mich nicht wohl? Ist das ein Dauerzustand oder ist es was Vorübergehendes? Wenn ich weiß, das ist ein Projekt, welches die nächsten zwei Wochen geht, kann ich das vielleicht besser ertragen und damit umgehen. Wenn ich allerdings feststelle, das hat sich jetzt über einen längeren Zeitraum entwickelt und ich sehe auch nicht, dass es besser wird – dann gilt es zu handeln und eine kritische Bestandsaufnahme zu machen.

Akademie: Wie erkenne ich einen akuten Burnout?

Prof. Keck: Das ist schwierig – und je weniger man informiert ist, umso schwieriger ist es. Es zeigt sich häufig durch das Gefühl des dauerhaften Erschöpftseins und nicht mehr abschalten können. Das muss man auch immer wieder erklären, dass das ein sehr häufiges Frühwarnzeichen ist. Wenn ich das Gefühl habe, ich komme gar nicht mehr zur Ruhe – auch bei Dingen, bei denen ich früher sehr gut entspannen konnte. Wenn der innere Druck und das Gedankenkreisen gar nicht mehr aufhören und ich einfach nicht mehr abschalten kann.

Akademie: Was kann ich denn konkret tun, wenn ich merke, es ist akut?

Prof. Keck: Wenn man richtig drin ist und es schon in Richtung Erschöpfungsdepression geht, braucht es sicher eine fachärztliche Beurteilung und ein gemeinsames Überlegen, wie man gegensteuern und Gesundheit wieder ermöglichen kann – und das ist ganz individuell: das kann durch eine intensivere Psychotherapie sein, durch ein Coaching oder eine medikamentöse Unterstützung, die hilft das Stresshormonsystem, welches dann völlig entgleist ist, wieder einzurenken. Es gibt eine Vielzahl an Dingen, die gemacht werden können – aber dann muss man handeln. Deshalb ist die Vorbeugung und Früherkennung so wichtig. Damit es gar nicht erst so weit kommt und jeder im Alltag in der Lages ist zu erkennen, wo es gefährlich wird und was ich dann tun kann. Und wenn ich gerade nichts tun kann, weil eben gerade beruflich oder privat so viel ist – oder weil man aktuell durch Corona so viele Auflagen hat (Homeschooling usw.), dann ist das natürlich schwer. Umso wichtiger sind Momente der Ruhe und Achtsamkeit – und wenn es nur 10 Minuten sind…

Akademie: Wie kann ich einem Burnout vorbeugen?

Prof. Keck: Grundsätzlich ist die Überlegung wichtig, wieviel kann und möchte ich denn tun für meinen Beruf oder für meine Tätigkeit, die mich eben so auslaugt und die so viel von mir verlangt. Muss ich früher Grenzen erkennen? Und diese dann auch ziehen. Muss ich öfter oder gelegentlich mal „Nein“ sagen? Was vielen sehr schwer fällt. Wo gibt es Inseln, in denen ich mich entspannen kann? Möglicherweise auch fernab der Familie oder fernab von Dingen, die zusätzlich Energie und Kraft kosten. Das ist auch nicht so leicht, wie es sich anhört. Man muss eine klare Bestandsaufnahme machen: Was kostet Energie, was kostet Kraft? Wieviel ist im Moment für mich persönlich möglich? Und wo muss ich besser und deutlicher Grenzen ziehen? Das muss man auch üben – das kann keiner aus dem Stand. Das muss man erkennen und dann üben.

Akademie: Welche Personen sind gefährdet?

Prof. Keck: Eigentlich ist jeder gefährdet, der eine bestimmte Tätigkeit sehr intensiv, sehr gerne und sehr motiviert macht. Das hat nichts mit bestimmten Berufen zu tun. In bestimmten Berufen ist allerdings das Risiko höher: das sind soziale Berufe (z.B. Pflegekräfte, Lehrer), weil die mit einer sehr hohen intrinsischen einhergehen, man ohnehin engagierter ist und die Grenze nicht so streng zieht zwischen Freizeit und Beruf. Diese Personengruppen sind definitiv gefährdeter. Aber es tritt in jedem Beruf auf, wo jemand seine Tätigkeit sehr gern und sehr engagiert macht.

Akademie: Kann man also sagen, dass Arbeit krank macht?

Prof. Keck: Arbeit kann krank machen – aber Arbeit macht eigentlich nicht krank. Eigentlich hält sie uns gesund, gibt uns eine Tagesstruktur, sie gibt uns oft einen Sinn. Und sie gibt uns wertvolle Sozialkontakte, die gesund erhalten. Wenn das alles gut läuft, ist Arbeit etwas sehr Wertvolles. Nun kennen wir alle aber Situationen und Bedingungen, da ist das nicht so – wenn es möglicherweise Mobbing gibt. Das sind große Gefahrenpotenziale. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass Arbeit gesund hält, weil sie in unserer Kultur Sinn gibt, weil sie uns Struktur gibt, weil sie uns Sozialkontakte gibt.

Akademie: Wieviele Menschen sind in Deutschland von Burnout betroffen?

Prof. Keck: Das ist sehr schwer präzise zu beziffern, weil der Begriff eben so unscharf definiert ist, nirgend gleich und korrekt erfasst wird. Aber wir können sicher von 10-20% der Bevölkerung ausgehen – das ist eine sehr hohe Zahl, die gefährdet ist und die wachsam sein sollte. Schwere behandlungsbedürftige Erschöpfungsdepressionen sind 5% der Bevölkerung. Das ist deutlich weniger, aber immer noch sehr viel.

Prof. Dr. Dr. Martin E. Keck ist Vorstandsvorsitzender des renommierten Münchner Bündnis gegen Depression, Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie und Nervenheilkunde sowie Neurowissenschaftler und war nach seiner internationalen Ausbildung in Ulm, München, Basel, London und Zürich von 1996 bis 2005 am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München tätig. Im Anschluss an seine Tätigkeit als Ärztlicher Direktor der Schweizer Klinik Clienia Schlössli wurde er im Jahr 2014 an die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München berufen und leitete diese bis 2019. Er gründete 2019 die Akademie und Gesundheitszentrum Frauenchiemsee, die maßgeschneiderte und wissenschaftlich fundierte Kompaktseminare zur Stressprävention für Betroffene, Interessierte und Unternehmen sowie zur Stressdiagnostik bietet. Für seine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Stressfolgeerkrankungen – wie z.B. Depression und Burnout – wurde ihm u.a. vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst der Bayerische Habilitationsförderpreis verliehen.

Weitere Informationen zu Prof. Dr. Dr. Martin E. Keck finden Sie unter: www.martinkeck.info